EXPERTENINTERVIEW Expertentelefon \"Rückenschmerzen\" am 9.9.2010

"Erste Therapieeffekte innerhalb weniger Wochen":

Moderne Behandlungen können chronisch-entzündliche Rückenschmerzen lindern

Experteninterview mit Prof. Dr. Jürgen Braun, Ärztlicher Direktor des Rheumazentrums Ruhrgebiet in Herne und Prof. Dr. Joachim Sieper, Leiter der Rheumatologie an der Charité, Berlin.

 

 

  

 

 

 

Morbus Bechterew ist eine rheumatische Erkrankung. Was genau muss ich mir unter dem Krankheitsbild vorstellen?

  • Prof. Sieper: Morbus Bechterew ist eine chronisch-entzündliche rheumatische Erkrankung, die vor allem die Wirbelsäule befällt. Darüber hinaus können aber auch andere Gelenke, Sehnen oder Bänder sowie Organe außerhalb des Bewegungsapparates von der Krankheit in Mitleidenschaft gezogen sein, wie zum Beispiel die Augen und die Haut. Bei einigen Patienten zeigen sich auch Begleitsymptomatiken im Magen-Darm-Trakt und an inneren Organen. Typischerweise tritt die Erkrankung zwischen dem 16. und 45. Lebensjahr auf.

Wie entsteht Morbus Bechterew?

  • Prof. Braun: Die Entstehung und Ursachen der auch als ankylosierende Spondylitis (AS) bezeichneten Erkrankung sind in weiten Teilen noch ungeklärt. Neben der erblichen Veranlagung und einer Störung im Immunsystem scheinen auch äußere Faktoren eine Rolle zu spielen.

Was sind die wesentlichen Symptome?

  • Prof. Braun: Die wichtigsten und oft auch ersten Symptome sind allmählich beginnende, tief sitzende Rückenschmerzen, die bevorzugt morgens und nachts auftreten und sich bei Bewegung bessern. Häufig wird von einer morgendlichen Steifigkeit des Rückens berichtet, die länger als 30 Minuten anhält. Die Beschwerden bessern sich oft gut auf Therapie mit nicht-steroidalen Antiphlogistika (NSAR). Die tief liegenden Rückenschmerzen sind meist bedingt durch eine Entzündung der Gelenkverbindungen zwischen Becken und Wirbelsäule (Sakroiliakalgelenk). Rückenschmerzen bei jungen Patienten unter 45 Jahren, die länger als drei Monate andauern, also chronisch sind, weisen auf eine solche entzündliche Ursache hin. Häufig kommt das Gefühl der Abgeschlagenheit und Müdigkeit hinzu. Im fortgeschrittenen Stadium können Versteifungen der Wirbelsäule und damit Einschränkungen der Beweglichkeit auftreten.

Können zusätzliche Beschwerden auftreten?

  • Prof. Sieper: Hinsichtlich der Entzündungen können neben der Wirbelsäule auch andere Gelenke (z.B. Knie, Schulter, Hüfte) schmerzhaft betroffen sein. Darüber hinaus treten auch weitere Entzündungen, z.B. an den Sehnen und den Augen (Iris, Uveitis) auf. Bei starken Augenschmerzen, Lichtempfindlichkeit und eingeschränkter Sehschärfe sollte ein Augenarzt aufgesucht werden. Halten die Beschwerden an, kann unbehandelt eine Beeinträchtigung der Sehfähigkeit erfolgen. In einigen Fällen liegt auch ein Zusammenhang mit chronischen Darmentzündungen vor. Typische Symptome sind Bauchschmerzen, Durchfälle möglicherweise mit Blutbeimengungen und Gewichtsverlust. Hautveränderungen in Form einer Schuppenflechte können ebenfalls auftreten. In späteren Stadien können eher selten auch weitere innere Organe betroffen sein.

Wie können sich die Entzündungen an den Sehnen äußern?

  • Prof. Sieper: Im gelenknahen Bereich sind die Knochen-Sehnen-Ansätze durch die Entzündung gereizt, sind schmerzhaft und druckempfindlich. Im medizinischen Fachjargon wird dies Enthesitis genannt. Eine Enthesitis tritt häufig an der Achillessehne auf, die dadurch bedingten Schmerzen am Fersenbein gehören manchmal zu den allerersten Beschwerden bei Morbus Bechterew.

Häufig ist in Zusammenhang mit Morbus Bechterew auch von einer Augenerkrankung - einer sogenannten Uveitis - die Rede. Was muss man sich darunter vorstellen?

  • Prof. Braun: Die anteriore Uveitis, Iritis oder Regenbogenhautentzündung ist eine Entzündung im vorderen Augenabschnitt, die sich meistens durch ein rotes, schmerzhaftes Auge äußert. Dieses ist dann meist druckempfindlich (bei leichtem Druck des Fingers auf das Augenlid) und es können Schmerzen beim Wechsel zwischen hell und dunkel auftreten. Bei solchen Symptomen sollten Betroffene rasch einen Augenarzt aufsuchen und diesen über die Diagnose Morbus Bechterew informieren.

Ist Morbus Bechterew heilbar? Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

  • Prof. Braun: Leider ist die chronische Wirbelsäulenentzündung bislang nicht heilbar. Mit einer modernen Therapie lässt sich ihr Verlauf jedoch positiv beeinflussen. Dabei ruht die Behandlung im Wesentlichen auf zwei Säulen: An erster Stelle stehen aktive Bewegungsübungen zur Erhaltung der Wirbelsäulenbeweglichkeit - beispielsweise Physiotherapie oder Krankengymnastik -, die in jedem Stadium der Erkrankung unverzichtbar sind. Tipps zu Training und Bewegung gibt auch die Deutsche Vereinigung Morbus Bechterew (DVMB) auf ihrer Website www.bechterew.de.

    Als zweite Säule gilt die Gabe von Medikamenten zur Schmerzlinderung sowie zur Entzündungshemmung.

Welche Medikamente stehen zur Behandlung zur Verfügung?

  • Prof. Braun: Die medikamentöse Behandlung orientiert sich an Erscheinungsform und Schweregrad der Erkrankung. Da die vielfach bei Morbus Bechterew eingesetzten entzündungshemmenden NSAR bei einem Teil der Patienten nicht ausreichend wirken oder aufgrund von Nebenwirkungen abgesetzt werden müssen, hat sich durch einen neuen Behandlungsansatz - die TNF Hemmung - eine wichtige Erweiterung der Behandlungsperspektiven ergeben.

Was sind TNF-Blocker?

  • Prof. Sieper: TNF-Blocker sind Medikamente, die über das Immunsystem wirken und den körpereigenen Botenstoff TNF hemmen. Dieser Botenstoff hat eine zentrale Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Entzündungen. Bei Morbus Bechterew liegen höhere Konzentrationen von TNF im Körper vor. Durch die Hemmung von TNFkann es zu einer schnellen Schmerzlinderung kommen und die Beweglichkeit der Wirbelsäule sowie die allgemeine Leistungsfähigkeit kann maßgeblich gebessert werden. Erste Therapieeffekte lassen sich oft bereits innerhalb weniger Wochen erzielen.

Warum bleibt Morbus Bechterew oft so lange unentdeckt?

  • Prof. Sieper: Experten beklagen, dass heute noch durchschnittlich acht Jahre vergehen, bis ein Morbus Bechterew richtig erkannt wird. Der Grund ist, dass Rückenschmerzen häufig durch andere Ursachen hervorgerufen werden und sich die Diagnostik deshalb schwierig gestalten kann. Das gilt insbesondere, solange keine krankheitsbedingten chronischen Veränderungen der Wirbelsäule im Röntgenbild nachweisbar sind. Aber glücklicherweise gibt es andere Indizien, die auch bei frühen Stadien auf die Erkrankung hinweisen. Es ist gerade deshalb so wichtig, die Früherkennung zu verbessern, weil eine frühzeitig eingeleitete Behandlung den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen kann. Die Website www.ruecken-experte.de enthält dazu einen Experten-Test, den Bechterew-Check, der eine erste Orientierung ermöglicht.
Quelle: deutsche journalisten dienste (djd),
Gesundheitsthemen